9. November 2013

“Shalom alechem – Friede sei mit euch” (Aus: SVZ vom 09.11.13)

„Du bist nicht vergessen“ – dafür steht im jüdischen Glauben der kleine Stein auf einem Grabstein.

Ein kleiner Stein liegt auf dem Grabstein. Es ist ein symbolisches Zeichen – im jüdischen Glauben so Tradition. Der Stein steht für das Nicht-Vergessen.

Dafür steht auch der 9. November. Genau am heutigen Tag jährt sich die Pogromnacht zum 75. Mal – 75 Jahre ist es her, als die Nationalsozialisten Sturm liefen gegen Juden. Tausende Juden wurden während der Novemberpogrome 1938 misshandelt, verhaftet, getötet oder in den Selbstmord getrieben. Mehr als 1400 jüdische Einrichtungen, darunter auch Synagogen wurden zerstört.

Hebräische Inschriften finden sich oft auf den Rückseiten der Grabsteine.

Diese Vergangenheit darf nicht in Vergessenheit geraten, weil “wir nur unsere Zukunft beschreiten können, wenn wir die Vergangenheit kennen und verstehen”, erzählt Barbara von Glasenapp. Die Schülerin des Lübzer Eldenburg-Gymnasiums steht stellvertretend für alle ihre Schulkollegen an diesem Tag auf dem Jüdischen Friedhof in der Schützenstraße und hält eine Rede – eine Gedenkrede, nachdenklich und anrührend, doch auch anregend. Insgesamt sind 15 Gymnasiasten erschienen, gemeinsam mit Alessa Bär, die derzeitige FSJlerin des Gymnasiums.

Nicht nur Gymnasiasten sind gestern auf dem Jüdischen Friedhof zur Gedenkstunde erschienen, sondern auch Einwohner aus Lübz und Umgebung – knapp 40 Menschen stehen dieses Mal auf dem Jüdischen Friedhof und lauschen den Worten der Gymnasiastin. Organisiert wird die Kranzniederlagung jedes Jahr von der Basisorganisation der Linken im Amt Eldenburg Lübz. Rainer Raeschke freut sich besonders, dass die Schüler sich bereit erklärt haben, einmal ihre Sicht der Dinge kund zu tun.

Schweigsam schreiten sie von Grabstein zu Grabstein. 14 sind auf dem Jüdischen Friedhof in Lübz noch erhalten. Die Ruhestätte schützt ein Zaun. Erst mit einem Schlüssel können Besucher den Friedhof betreten. Die meisten unter den Besuchern kennen sich, kommen ins Gespräch, während sie sich die Grabsteine noch einmal genauer anschauen. “Ich wollte schon immer mal her und mir den Friedhof anschauen”, sagt Claudia Ammann aus Lübz, doch über den Zaun klettern wollte sie nie, gibt sie lächelnd zu. Der ein oder andere schweigt zunächst, nach und nach bricht das Eis. Einige sprechen darüber, was vor genau 75 Jahren passiert ist, andere wiederum erzählen von Israel – wie schön dieses Land doch ist.

Gemeinsames Gedenken

“Wir wollen nicht wegschauen, wenn Leute in der Öffentlichkeit angegriffen werden” – das haben sich die Eldenburg-Schüler zum Ziel gesetzt. Ihr Engagement für mehr Zivilcourage und gegen Rassismus reißt weiterhin nicht ab. Erst vor Kurzem hat ihr Engagement Früchte getragen und zum langersehnten Ziel geführt: Das Eldenburg-Gymnasium wurde mit der Plakette “Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage” ausgezeichnet (wir berichteten). Genau aus diesem Grund hat Rainer Raeschke die Schüler gebeten, die Rede zur Pogromnacht zu halten. “Ich freue mich, dass so viele Gymnasiasten heute den Weg hierher gefunden haben”, gibt er zu Beginn der Gedenkstunde an. Die Rede von Barbara von Glasenapp soll anregen. Die Schüler wollen erreichen mit den Generationen von früher ins Gespräch zu kommen, damit sie die Geschichten an jüngere Generationen weitergeben können.

Die Sonne kommt durch, als Rainer Raeschke und Alessa Bär ein Blumengesteck vor einer Tanne ablegen, denn im jüdischen Glauben ist es weniger Tradition Blumen bei den Grabsteinen abzulegen. Dass es sich bei den Grabsteinen auf dem Friedhof um jüdische handelt, ist jetzt nicht nur an den kleinen Steinen zu erkennen, sondern auch an dem Judenstern – im Dritten Reich ein Brandzeichen und heute ein Mahnmal für die von den Nationalsozialisten getöteten Juden..

Ein Stein liegt auf einem der Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof in Lübz – ein Symbol gegen das Vergessen. Ein Zeichen für den Neuanfang unter den Religionen – darauf hofft Lisa Huß aus Barkow. Sie wünscht allen Anwesenden Frieden – “Hevenu shalom alechem”.

 

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