Jugendliche und die DDR: Aus einem Land vor ihrer Zeit (svz 20-06-2019)
Alles macht den Anschein, dass es sich bei den Radlern um ebensolche Touristen handelt, die nahezu täglich entlang des beliebten Elberadweges zu beobachten sind. Ganz so ist es jedoch nicht. Die Gruppe von rund 30 Personen ist in besonderer Mission unterwegs: Sie will das Spezielle in der idyllisch wirkenden Natur wiederentdecken. „Schüler erradeln Geschichte entlang der Grenze“, so nennt es Burkhard Bley. Der Mann ist stellvertretender Landesbeauftragter für Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Bereits zum sechsten Mal ist er in dieser Funktion und mit einer solchen Gruppe entlang des sogenannten „Grünen Bandes“ an der ehemaligen innerdeutschen Grenze unterwegs.
Start Wittenberge – Ziel Lübeck
Am Montag war der Start in Wittenberge und als Ziel haben er und die Heranwachsenden am Freitag Lübeck gewählt. Dazwischen machen sie immer wieder Halt, um sich darüber Gedanken zu machen, wie sich der Landstrich zur Zeit der deutsch-deutschen Teilung gezeigt hat.
„Gestern waren wir in einem Ort, der von allen Seiten vom Zaun eingeschlossen war“, erzählt Hannes Lohrmann. Der 17-jährige Goldberger meint damit Rüterberg. Und er zeigt sich noch einen Tag später von den Zeitzeugenberichten beeindruckt. Auch dank solcher Erfahrungen sieht sich der Schüler des Eldenburg-Gymnasiums in Lübz voll darin bestätigt, für seine Teilnahme an dieser Tour nicht lange überlegt zu haben.
Geschichte hautnah erleben
„Hier können wir die Geschichte, die wir sonst nur theoretisch im Unterricht erfahren, einmal hautnah erleben“, sagt der Zehntklässler, wobei er noch anfügt: „Zumindest zum Teil.“ Denn Hannes Lohrmann gibt ebenso zu, dass es für ihn fast unmöglich ist, sich in die Zeit, in der es zwei deutsche Staaten gab, zurückzuversetzen. „Wir sehen hier zwar Grenztürme und manchmal auch noch ein Stück Zaun aber ansonsten ist ja alles zugänglich und dementsprechend nicht mehr so schlimm wie früher“, spricht der Goldberger auch seinen heranwachsenden Gefährten aus Malchin und Schwerin aus der Seele.
Die Erinnerungen verblassen langsam
Diesbezüglich merkt sogar Burkhard Bley, der diese Zeit noch selbst erlebt hat, an, dass die Erinnerung langsam verblassen würde. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb erachtet er diese Touren mit Schülern als äußerst wichtig. So dürfe die Zeit der Teilung nicht in Vergessenheit geraten, damit eine solche Epoche nie wiederkehren kann. Auch gerade deswegen werden in jedem Jahr aufs Neue diese neuralgischen Punkte erradelt.
Symbolisch dafür steht auch der Grenzturm in Popelau, den sich die Gruppe am Mittwoch zusammen mit der Natur- und Landschaftsführerin, Sabine Wittkopf, angeschaut hat. „Das ganze Areal wurde nur für Anschauungszwecke errichtet. Eigentlich stand der Zaun am Deich direkt vor den Häusern“, erklärt Wittkopf.
Dem Erstaunen der Heranwachsenden tat dieser Fakt jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil – so surreal es ihnen erscheinen mag, sind diese Orte der Erinnerung doch immer auch Zeichen dafür, was alles überwunden werden musste, damit sie nun bei schönstem Sonnenschein überall hin fahren können, wo sie nur wollen.
– Quelle: https://www.svz.de/24345737 ©2019