Anonyme Klausuren: Ja oder nein? (svz 19-01-2018)
Der Wettbewerb „Jugend debattiert“ im Eldenburg Gymnasium Lübz
Lübz Mutig sind sie. Immerhin ist der Anstoß für ihr Thema nicht weniger als die große politische Bühne. Die Sache mit den Flüchtlingen. Der Gedanke daran, dass es Vorurteile gegen sie gibt. Wegen ihres Aussehens. Oder wegen ihres Namens. Einige Schüler des Eldenburg Gymnasiums spannen diesen Gedanken weiter, webten ihn ein in ihre eigene Welt. Sie fragten sich: Ist es nicht fairer, wenn Klausuren in Zukunft ohne Namen geschrieben werden, anonymisiert?
Das Atrium füllt sich langsam. Vorne auf der Bühne sind zwei Rednerpulte mit vier Mikrofonen aufgestellt, unten beim Publikum blickt man in viele müde Gesichter. Gerade war Mittag. „Jugend debattiert“, darum soll es gleich gehen. Ein bundesweiter Wettbewerb, an dessen Ende eine Diskussion vor den Augen des Bundespräsidenten steht. Heute ist der Schulausscheid. Der Höhepunkt: die Diskussion von vier Schülerinnen aus der Oberstufe.Natalie, eine Zehntklässlerin, beginnt. Den Wunsch nach anonymisierten Klausuren gäbe es schon lange, sagt sie. Ihr Vorschlag ist, Klausuren in Zukunft nur noch an Rechnern schreiben zu lassen. Jeder Schüler bekäme einen Code zugewiesen und ein unabhängiger Fachlehrer, der nicht weiß, wer sich hinter dem Kürzel aus Buchstaben und Ziffern verbirgt, kontrolliert sie. Sympathien und Antipathien spielten keine Rolle mehr. „Lehrer und Schüler werden so geschützt.“
Elftklässlerin Vivien hält dagegen. Bewertungen von Lehrern, beispielsweise in einem Deutschaufsatz, seien sowieso im hohen Maße subjektiv, da spielte der Name nur noch eine kleine Rolle. Und ihre Mitstreiterin Heidi, ebenfalls in der Elften, sagt: „So kann man nicht auf die Schwächen der jeweiligen Schüler eingehen. Und was ist mit den Kosten für die Rechner?“ „Das ist gar kein Problem“, antwortet Natalie. „Ich habe nachgefragt: Die Schule will sich sowieso welche anschaffen.“
Natalie bringt Zahlen. Bald jeder dritte Schüler mit Migrationshintergrund würde in Deutschland schlechter bewertet. Eine Quelle nennt sie nicht. Aber eines sei sicher: Wenn ein Kind Kevin heißt, Chantal oder Jaqueline, dann könnte alle hier davon ausgehen, dass der Lehrer schlechter bewertet. Das Publikum lacht.
Das sei alles nachzuvollziehen, sagt Vivien. Probleme sieht sie bei der Organisation. Was ist, wenn ein Schüler krank wird und nachschreiben muss? Dann sei offensichtlich, wer die Klausur nachholt. Und Heidi ergänzt: Schüler, die mit Computern nicht umgehen können, werden benachteiligt.
Nach 20 Minuten klingelt es. Jedem bleibt noch ein kurzes Statement, gerade einmal 60 Sekunden. Danach schätzt die vierköpfige Jury, bestehen aus zwei Lehrer und zwei Schülern, die Mädels ein. Das Prinzip: Tops und Tipps. Zu erst das, was gut lief und danach noch Vorschläge, was beim nächsten Mal besser laufen kann. Danach zieht sich die Jury zur Beratung zurück.
„Jugend debattiert“, sagt Jurymitglied Gerd Vorhauer, „ist bei uns in der 9. Klasse verpflichtend.“ Bei den Großen ist es hingegen ein Angebot. Das Gymnasium will so die Debattenkultur bei den Schülern stärken. Am Ende gewinnt Natalie. Gute Argumente, eine klare Sprache. Die Projektbeauftragte, Christiane Niklas, lacht. Natalie nämlich hätte nie einen Lehrgang besucht oder das Debattierfach belegt. Sie scheint ein Talent.
Sebastian Schramm